Im Juli 2013 ist es endlich soweit, ich verbringe einige Tage in der Buluba –Community.
Eine Freundin ist eine „Little Sister Of St.Francis“, also eine Ordensschwester. Wir sind seit Jahren eng befreundet und beide sehr beschäftigt. Manchmal müssen wir uns 2 Wochen im Voraus verabreden um uns zu treffen. Für die „Working-Class“ ist es hier nicht anders als in Europa.
Sie leitet seit über einem Jahr ein Krankenhaus mit großem Drumherum, das heißt es gibt ein Krankenhaus mit einer Frauen, Männer, Kinderabteilung, Geburtsstation, eine HIV-Klinik, Häuser für ehemalige Leprakranke, Tuberkulosestation, Physiotherapie und Orthopädie – die Buluba-Community.
In all den Jahren in Uganda habe ich festgestellt, dort wo Ordensschwestern sind, funktioniert alles. Es gibt Bezahlung für die 200Mitarbeiter, es gibt feste Arbeitszeiten, eine Teepause, Mittagessen, Pausen, einen Kindergarten für die Mitarbeiterkinder, Operationen ohne Stromausfall, akzeptable Zustände, sauberes Gelände und, und…Ach, und sogar Urlaub!
Da meine eigentliche Arbeit in Jinja erst nächste Woche startet, habe ich die Möglichkeit eine Woche vor Ort zu verbringen.
Ich wohne im „Bischofshaus“ und werde morgens von einer sehr netten Uganderin abgeholt, die hier die Schneiderin der Einrichtung ist. Sie spricht Englisch und kann für mich übersetzen. Denn die Menschen hier fernab von der Stadt, sprechen kein Englisch und leben ein sehr traditionelles Leben.
Sie sehen nicht viele Weiße und es ist nicht möglich unentdeckt zu bleiben, Gespräche hier und da, sich vorstellen und viele, viele Fragen beantworten.
Nr.1 ist meistens ob man verheiratet ist und Nr.2 wie viele Kinder man hat, dann geht es weiter mit Beruf des Mannes, wie ist Deutschland, das Wetter, gefällt Uganda und vieles mehr.Irgendwann kommt eine gewisse Routine und fließend kann der Besucher seinen Lebenslauf erzählen.
Lepra-Überlebende
Da ich selbst aus der Altenpflege komme, Sozialpädagogin und Sozialarbeiterin bin, hatte ich großes Interesse an den alten Menschen, die Lepra überlebt haben.
Sie leben mit nun nur noch 9 Frauen und 8 Männern in unterschiedlichen Gebäuden, haben je ein Zimmer und einen gemeinsamen Aufenthaltsraum.
Meinen ersten Besuch stattete ich den Frauen ab. Ich habe mir viel, viel Zeit genommen und mich vorsichtig an meine Fragen herangetastet…
Erst einmal musste ich erzählen und gut kam meine Arbeit mit den alten Menschen in Deutschland an. Sie begannen Fragen zu stellen, stellten sich vor (die Menschen hier haben einen „local“ Namen und einen christlichen Namen) und konnten ungefähr ihr Alter sagen.
Mein Interesse galt den Stümpfen und wie sie damit umgehen ihr Leben lang. Denn alle Männer und Frauen kamen als sie Kinder waren und niemals konnten sie zurückkehren zu ihren Familien. Sie waren Aussätzige und kaum jemand bekommt Besuch von Angehörigen.
Nur wenn sie sterben, tauchen Angehörige aus dem Nichts auf und nehmen den Leichnam mit nach Hause. Und zwar deshalb, weil sie Angst vor dem Geist haben, der sie heimsucht, wenn sie den Körper nicht in der Heimaterde bestattet haben!
Alle Frauen waren ohne Finger und Füße, teilweise ohne Unterschenkel und Knie, das heißt sie krabbeln auf dem Boden um sich fortzubewegen.
Die Haut der Knie fühlt sich wie Holz an, völlig verhornt und ohne Gefühl darin. Da sie auf dem harten Stein- oder Erdboden krabbeln, bemerken sie Wunden spät und sie heilen selten zu. Sie leben mit den offenen Wunden, die ebenfalls an den Handstümpfen zu finden sind.
Es gibt Hilfsmittel um selbstständig zu essen. Um einen Löffel ist ein Gurt befestigt, das Essen befindet sich in einer großen Plastiktasse und wenn der Gurt um den Stumpf befestigt ist, können sie allein essen.
Ebenso übernehmen sie ihre eigene Körperpflege.
Da sie als Kinder an Lepra erkrankten, sind sie geschult und können Einiges allein verrichten.
Sie sind eine fröhliche Gruppe, singen gern und „tanzen“ gern, indem sie sich auf ihre Stümpfe knien.
Ich bekam eine exklusive Vorführung und es war sehr rührend.
Alle Frauen sind hochbetagt und das ungefähre Alter können sie selbst nur schätzen. Es ist eher selten, dass diese ältere Generation ihr exaktes Alter weiß, ebenso habe ich bei jüngeren Menschen erlebt, wie sie unterschiedliche Altersangaben sagten. Da es kein Einwohnermeldeamt gibt, keine Kalender auf dem Lande und es nicht wichtig ist, kann ein Geburtstag verloren gehen.
Als ich die Männer besuchte, war ich sehr überrascht, denn sie konnten exakt den Tag, das Datum und ihr Alter angeben als sie erkranken, z.B. 8.März 1943 im Alter von 7 Jahren…..
Viele Männer hatten Prothesen und gingen an Gehhilfen. Sie waren wirklich uralt… Ich habe noch nie so alte Ugander gesehen.
Erstaunt hat mich, dass Lepra immer noch in Uganda aktiv ist. Es hat zum Glück nicht mehr die verheerenden Folgen früherer Jahrzehnte und dank Medikamenten, Tests und freier Medizin kann die Krankheit heilen.
Die alten Leute erzählten, dass es mit Flecken am Körper anfing, dann faulten die Gliedmaßen über Jahre und niemand ging zum Arzt. Sie empfanden allerdings keine Schmerzen.
Eine Frau erzählte, dass sie als kleines Mädchen an der Feuerstelle kochte. Ihr Bein lag dann die ganze Nacht im Feuer ohne das es merkte, da sie kein Gespür mehr hatte. Morgens war es dann verbrannt und musste amputiert werden – bis zum Gesäß.
Währenddessen erfuhr ich von einer leitenden Schwester, dass auch Syphilis wieder sprunghaft ansteigt.
Krankenhaus: HIV- Station
Im Krankenhaus habe ich auf der HIV-Station gearbeitet. Die Patienten können sich dort keinen Aufenthalt leisten, deshalb kommen sie nur den Bluttest und um ihre Medikamente abzuholen. Jeder Patient hat einen Ordner und wird von der Krankenschwester nach Alter, Kinderzahl und Verhütung gefragt. Sie verhüten NICHT und bekommen weiterhin5 bis 12 Kinder… Wenn der Ehemann gestorben ist, suchen sie sich einen neuen Mann und so erklärt sich auch, warum die Aidsrate zur Zeit sehr steigt. Es gibt grad kein anderes Thema, gefühlt hat hier jeder Aids.
Kinderstation
Dort kommen Kinder an, die meist völlig unterernährt sind, unter Blutarmut leiden und dann noch Malaria bekommen haben.
Ich wusste nicht, dass so viele Kinder unterernährt sind und sie starren aus leblosen runden großen Augen apathisch in die Welt. Es gibt sehr, sehr viele kleine unterernährte Kinder, die Muttermilch reicht nicht, die Mutter ist schon wieder schwanger, die Mutter hat noch 7 andere Kinder zum Kümmern – alles Erklärungen dieser verheerenden Geschichten.
Mittels Sonde werden sie wieder aufgepäppelt. Ein Aufenthalt für ein Kind beträgt 20 000 Schilling, egal wie lange es dauert. Das sind 7 Euro und selbst das haben die Eltern nicht.
Außerdem gibt es Kinder mit Wundstarrkrampf/ Tetanus, die sich beim Spielen verletzt haben. Selten überleben sie das und ein kleines 7 jähriges Mädchen war dabei zu sterben. Es wurde alle paar Sekunden von einem schrecklichen Krampf geschüttelt.
Ich kann nur hoffen, dass die Impfmüdigkeit in Deutschland bald ein Ende hat!
Geburtsstation
In ein Krankenhaus kommen nur Mütter, die Komplikationen haben.
Wenn niemand mehr helfen kann und sie noch leben, kommen sie mit dem Bodda angefahren. Die leitende Ordensschwester, Gynäkologin mit sehr viel Operationserfahrung erzählte, dass es 2012 über 600 Kaiserschnitte gab und nur 400 Geburten auf natürlichem Wege. Das ist sehr unnatürlich für Uganda, aber wer dorthin kommt, hat keine Wahl mehr.
Als ich dort war, gab es eine schwere Geburt mit starken Nachblutungen. Die junge Frau war gerade 18Jahre alt und es gibt keinen Geburtsvorbereitungskurs. Sie wusste überhaupt nicht, wie sie atmen sollte.
Ansonsten waren die Betten belegt mit Frauen die geboren haben, Totgeburten hatten, die Babys nach der Geburt gestorben waren. Die Frauen waren eigentlich noch Mädchen.
Manchmal kommen die Frauen an und sind schon auf dem Bodda verstorben.
Besucht habe ich außerdem die Frauenstation, Männerstation und die Apotheke.
Die Apotheke hatte leere Regale, das Krankenhaus steckt in finanziellen Schwierigkeiten trotz der Ordensschwestern. Es gibt keinerlei Unterstützung vom Staat, oder nicht nennenswerte Unterstützung.
Transport eines Leichnams
Ein Patient ist während meines Aufenthaltes an Tetanus verstorben – es wurde alles versucht, vergeblich. Der Mann war in den 40ern und groß, kräftig, gesund bis dahin. Wie, fragte ich mich, kommt er nun nach Hause? Es wurde ein Auto geliehen und der Leichnam aufrecht ins Auto gesetzt, von beiden Seiten wurde er unterstützt.
Es gibt keine Leichenwagen!
Wenn das Geld dann nicht reicht um ein Auto zu leihen, wird der Leichnam auf das Bodda gesetzt und jemand hält ihn von hinten fest.
Orthopädische Werkstatt
Der alte „Mzee“, ausgesprochen Museei (so nennt die Bevölkerung alte erfahrene Männer) war 2x in seinem Leben in Brasilien um sein Handwerk zu erlernen.
Er bildet zur Zeit 2 junge Nachfolger aus. Dort werden Beine, Füße und Hände hergestellt. Es ist sehr beeindruckend aus welchem Material sie diese Hilfen formen, es war eine tonähnliche Masse.
Wenn jemand sein Gliedmaß verloren hat, geben sie Lauftraining, passen Gehhilfen an und fotografieren jeden Patienten. Es gab ein beachtliches Fotoalbum und es ist einfach erstaunlich, wie die Mitarbeiter dort arbeiten und helfen.
Ihre Erfahrung kommt aus der Zeit der großen Lepra-Welle.
Zur Zeit fertigen sie ein Bein an. Ein junger 23-jähriger Mann wurde von einem LKW angefahren und hat sein Bein verloren.
Es war schön zu sehen, wie die Ordensschwestern sich abends gegenseitig Kraft geben um ihre harte Arbeit mit Herz und Verstand durchzuführen. Sie arbeiten fast durchgehend tagsüber und gönnen sich lediglich das Mittagessen. Der Arbeitstag endet zwischen 18 und 20Uhr.